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Leben - Design - Identität. Ein designtheoretischer Erklärungsansatz von Selbstmarketing und dessen empirische Bedeutung in der Praxis
(2023)
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Bettina Anna Heinecke
- Dem Wunsch, das Ansehen der eigenen Person gezielt zu beeinflussen, kommt nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Diversifizierung unserer Gesellschaft ein großes praktisches Interesse zu. Neben einer Fülle an Beratungsdiensten der Personalentwicklungsindustrie sowie mannigfachen Seminar- und Workshop-Angeboten finden sich in zunehmender Weise Websites und Bücher der Populärliteratur, die vor diesem Hintergrund an entsprechende Zielgruppen gerichtet sind.
Da sich Marken auch als Ergebnis eines Gestaltungsprozesses herausbilden, also letztlich designte Produkte sind beziehungsweise Design einen wesentlichen Aspekt im Markenbildungsprozess darstellt, muss es erstaunen, dass der überwiegende Teil wissenschaftlicher Arbeiten im Bereich der Marketingforschung zu verorten ist. Dem Design als unabdingbares, nonverbales Kommunikationsmittel, kommt in der vorliegenden wissenschaftlichen Literatur keine tragende Rolle zu. Diesem Forschungsdefizit widmet sich die Dissertationsschrift von Bettina Anna Heinecke an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Dabei steht die Frage, welche designtheoretischen Erklärungsversuche zur Beschreibung von Selbstdesign herangezogen werden können, im Zentrum der Betrachtung. Zudem wird der hohen praktischen Relevanz der Thematik durch einen empirischen Teil Rechnung getragen. Die auf einer umfangreichen Literaturrecherche und dem Grounded Theory Ansatz aufbauende Arbeit identifiziert neun Lebensbereiche, in welchen Individuen sich selbst designen.
Die empirischen Ergebnisse einer im Rahmen der Untersuchung durchgeführten Primärerhebung weisen darauf hin, dass Selbstdesign in zentralen Lebensbereichen erfolgreich dazu genutzt werden kann, das gesellschaftliche Ansehen der eigenen Person in gewünschter Weise zu beeinflussen. Spannenderweise belegen die multivariaten Gruppenvergleiche aber auch, dass dies nicht für alle Ausgestaltungsmerkmale wie durch die theoretische Fundierung postuliert geschieht. Zudem deuten die Ergebnisse auf zahlreiche nichtlineare Zusammenhänge hin und bereiten somit fruchtbaren Boden für wissenschaftliche Anknüpfungspunkte und vielversprechende praktische Ansätze, zielgenau zu beeinflussen, wie die eigene Person im gesellschaftlichen Umfeld wahrgenommen wird.
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Geschmacksstrategien. Kochen als künstlerische Praxis bei Rirkrit Tiravanija.
(2022)
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Mirja Straub
- Gegenstand der Dissertation Geschmacksstrategien. Kochen als künstlerische Praxis bei Rirkrit Tiravanija ist die Untersuchung von Rirkrit Tiravanijas (*1961) Kunst – vorrangig seiner Koch-Aktionen, die er seit Ende der 1980er Jahre in Kunstvereinen und Galerien durchführt. Tiravanijas Kunst ist im wahrsten Sinne des Wortes schmeckbar. In dieser Arbeit wird deshalb der Geschmack als Beurteilungsinstrument von Kunst von verschiedenen Seiten beleuchtet: unter anderem im physiologischen, soziologischen und Philosophie-ästhetischen Sinne – stets in Bezugnahme auf kunstwissenschaftliche Diskurse, Kunstrezeption und Kunsttheorie. Sieben zentrale Fragen bilden dabei den roten Faden: Warum kocht er? Für wen kocht er? Wie und wo kocht er? Wer kocht? Was bleibt? Was kocht er? Was kocht er wo? Die Fragen eröffnen Felder, die von Geschmacksurteilen und Kunsturteilen, von der Vergänglichkeit von Kunst und einer institutionskritischen Haltung erzählen. Darüber hinaus werden auch kulturwissenschaftliche und postkoloniale Diskurse verhandelt: es geht um den Umgang mit kultureller und ‚kulinarischer‘ Identität, mit Authentizitätsvorstellungen und Geschmackskulturen, mit sozialer und kultureller Differenz. Die Diskurse laden dazu ein, das kochkünstlerische Werk Tiravanijas mit anderen Augen zu sehen. So ist ein ganz neues Bild dieses Künstlers und seiner Arbeiten entstanden, das auch bisherige Rezeptionen seines Schaffens kritisch beleuchtet und neu bewertet.
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Räumliche Befunde entwerfenden Handelns. Das widersprüchliche Verhältnis von räumlicher Trialektik und dem Einsatz digitaler Medien in partizipativ und kollaborativ angelegten kreativen Projekten
(2022)
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Dirk Bei der Kellen
- Die Dissertation geht der Frage nach, ob kreative Projekte gelingen können, wenn die handelnden Personen nicht unmittelbar in einem physischen Raum zusammen sind. Dies geschieht vor dem Hintergrund aktueller Trends digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien, die der-zeit den Eindruck vermitteln, dass Kollaboration und Teilhabe in Designprojekten quasi losgelöst von gemeinsamer physischer Vor-Ort-Anwesenheit nicht nur machbar sind, sondern dass die Kreativität in Projekten durch die freie Ortswahl sogar noch beflügelt werden könne. Manche sprechen dabei sogar vom „neuen normal“. Diese optimistische Annahme wird in der Dissertation in vier Projektstudien auf die Probe gestellt. Es wird hinterfragt, ob das wirklich so ist und wie sich Kreative in Projekten räumlich organisieren. Der Autor wählt dazu eine trialektische Perspek-tive, die zwischen wahrgenommen, vorgestellten und gelebten Raum unterscheidet.
Methodisch stehen Fall- bzw. Projektstudien im Mittelpunkt. Mit einer initialen Projektstudie wird hinterfragt, ob der Einsatz digitaler Medien überhaupt als Ursache für Design auf Distanz gewertet werden kann. Diese Annahme wird mit Blick auf ein modernes Projekt der vordigitalen Zeit verworfen. Das führt zur Frage, ob die Verortung in Design-Projekten überhaupt eine Rolle spielt. Die daraus folgende Projektstudie klärt, dass räumliche Organisation nicht unbedeutend für Designerinnen und Designer ist. Mit der Erkenntnis, dass selbst erfahrene Designer mitunter in ihrer eigenen Projekt-Verortung scheitern, wird der Aufwand für die nachfolgende Feldforschung in einem aktuellen Designprojekt gerechtfertigt. In der dritten Projektstudie wird nun der Fokus auf den aktuellen Trend der Partizipation unter besonderem Augenmerk des Medieneinsatzes gelegt. Dabei wird festgestellt, dass Planende nicht nur den Zugang zu digitalen Werkzeugen re-geln, sondern Teilhabe am Projekt auch mittels analoger Verfahren steuern. Beispielsweise mit einer strengen Sitzordnung, die sich potentiell dämpfend auf mögliches Co-Design auswirkt. Die-ser Befund wurde nachfolgend in einem experimentell angelegten Designprojekt bestätigt gefun-den. Hier zeigte sich, dass im Computer generierte CAD-Raummodelle eines neu zu gestaltenden Klassenzimmers für Berufsschüler weniger originell sind, als vergleichbare handwerklich gebastel-te Dioramen, die nach einer robusten räumlichen Intervention entstanden sind.
Die Dissertation kommt zu dem Schluss, dass medial vermittelte Kollaboration in Projekten für an Effizienzfragen ausgerichtet Aufgabenstellungen möglicherweise Sinn ergibt, dass diese Per-spektive aber für kreative Aufgaben so nicht einfach übernommen werden kann. Für kreative Pro-jekte kommt es darauf an, mit Irritationen und Projektentwicklung zunächst die Voraussetzung für Design auf Distanz zu schaffen. Die Dissertation richtet sich an Forschende und an Planende, die an Organisationsfragen interessiert sind, ob und wie sie Kreativität in räumlich verteilten Pro-jekten fördern und bewahren können.
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Wie wir lernen, was wir lernen. Andere Orte und neue Formate der Weiterbildung unter besonderer Berücksichtigung gestalterischer Kriterien
(2022)
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Saskia Plankert
- In seinem Aufsatz von 1980 konstatiert Lucius Burckhardt ein kritisches Designverständnis, das unsichtbare Gesamtsysteme umfasst, bestehend aus Objekten und zwischenmenschlichen Beziehungen. Design ist demnach mehr als reine Formgebung und hat eine gesellschaftliche Verantwortung. Aktuell wird unsere Gesellschaft unter anderem mit dem Begriff Wissen- und Könnensgesellschaft beschrieben, in der Lernen als wichtiges Werkzeug für die Gestaltung individueller Lebens- und Arbeitschancen fungiert. In Anbetracht heutiger Herausforderungen wie beispielsweise dem rasanten technologischen Fortschritt, dem Konkurrenzdruck im globalen Wettbewerb, oder dem demografischen Wandel, wird die berufliche Fort- und Weiterbildung als immer wichtiger empfunden.
Ziel dieser zugrundeliegenden Forschungsarbeit ist die Untersuchung und Entwicklung neuer Formate für Weiterbildungen unter Berücksichtigung gestalterischer Kriterien. Besonderes Augenmerk legt die Untersuchung darauf, welche Bedeutung andere Orte bei der Wahl des Lernorts einnehmen. Die designwissenschaftliche Untersuchung der Weiterbildung erfolgt am Beispiel des Schiffs als Lernort. Das Schiff – als ein schaukelndes Stück Raum, eignet sich im Foucaultschen Sinne in besonderer Weise als Untersuchungsgegenstand. Durch den in sich geschlossenen Ort (ohne Ort und gleichzeitig dem endlosen Meer ausgeliefert), die hohe Eigenwahrnehmung des in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichneten wirklichen Ortes, die kurzen Messintervalle der Reise sowie die Besonderheit gegenüber den von üblichen Normen und Regeln in unserer Bildungsgesellschaft beherrschten (Weiterbildungs-)Formaten, wird das Potenzial evident, neuartige, innovative und kreative Potenziale aufzuzeigen.
Da die lernende Person im Zentrum des Lernprozesses steht und sich ihr Lernprozess vorwiegend individuell konstituiert, legt die Untersuchung den Schwerpunkt auf die persönlichen Lernperspektiven der Teilnehmenden. Es ist bekannt, dass besonders die konkrete Lernsituation, die Erwartungshaltung an die Veranstaltung und die Motivation der Lernenden das Lernergebnis maßgeblich beeinflussen. Die Forschungsarbeit wird sich mit der Frage beschäftigen, wie die höchst individuellen und subjektverorteten Standpunkte erhoben, analysiert und verwertet werden können, um sowohl standardisierte Ergebnisse als auch eine verwertbare Systematik entwickeln zu können, die kollektiv zugänglich und auf andere Lernszenarien übertragbar gemacht werden kann.
Des Weiteren erscheint eine Analyse erforderlich, die untersucht, ob die bestehenden Angebote und Versprechen der Reedereien und Reiseveranstalter sowie das vom Verband des deutschen Reisemanagements entwickelte Zertifikat Certified Conference Ship, das Konferenzschiffe als besonders geeignet klassifiziert, mit den Erfahrungen, Vorstellungen und Wünschen der Lernenden übereinstimmen und ob neue Verbindungen und Zusammenhänge mithilfe lern- und raumtheoretischer Perspektiven aufgezeigt werden können, um so neue Formate zu entwickeln, die die persönlichen Lernkonstitutionen der Teilnehmenden berücksichtigen. Die den Prozess begleitende Frage lautet, wie die Wechselwirkung zwischen dem Raum und dem Arbeits-/Lernprozess gestaltet werden kann, sodass er lernfördernde Auswirkungen zukünftig aktiv bedenkt, und welche Rolle der andere Ort, am Beispiel des Schiffs, dabei einnimmt. Es wird demnach untersucht, wie und womit Räume zu Lernräumen werden, wie sie wieder aufgelöst werden, wie sie Überlappungen eingehen, welche Leistungen hierzu von welchen Akteur*innen jeweils zu erbringen sind und – zu guter Letzt – welche Rolle der andere Ort beim Lernen spielt (mit dem Begriff des Ortes ist eine physisch-erfahrbare und geometrisch erfassbare Stelle gemeint). Wenn hier von Räumen gesprochen wird, orientiert sich der Begriff an dem relationalen Raumverständnis von Martina Löw: Räume sind Konstruktionsleistungen von Menschen und entstehen im Handeln. Dem soziologischen Verständnis folgend ist Raum ein Produkt sozialer Praxis, den Akteure durch spezifische Handlungen und Praktiken selbst konstituieren.
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"Do you believe in Photographs" Fotografisches Zeigen und Erscheinen in Jerry Berndts Serie The Miraculous Photographs of Bayside
(2022)
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Sarah Frost
- Der US-amerikanische Fotograf und Fotojournalist Jerry Berndt (1943–2013) hat seit den frühen 1960er Jahren ein umfangreiches Werk hervorgebracht, das zeigt, wie konzeptuell-vielgestaltig das Dokumentarische in Erscheinung treten kann. Ungeachtet seiner immensen Produktivität, befindet sich Berndts Œuvre erst im Beginn einer wissenschaftlichen wie institutionellen Erschließung. Mein Promotionsprojekt erfüllt dieses Desiderat einer Aufarbeitung und entwickelt eine multiperspektivische Sicht auf das Werk des Fotografen.
Gegenstand meiner Analyse ist die bisher unveröffentlichte Serie The Miraculous Photographs of Bayside (1980/81), die Berndt anlässlich des zehnten Jahrestages einer vermeintlichen Marienvision im New Yorker Stadtteil Queens begonnen hat. Die Anhängerschaft des Mediums Veronica Lueken, einer katholischen Hausfrau, von über tausend Gläubigen pilgerte in der Nacht des 18. Juni 1980 in den Flushing Meadows Corona Park und zelebrierte ein fotografisches Erscheinungsritual: Ihrem Glauben nach empfingen ihre Sofort-Bild-Kameras Nachrichten der Jungfrau Maria in Form von Lichtschrift auf den instantanen Bildern, den sogenannten Miraculous Photographs.
Als Atheist trat Berndt aus medialem und anthropologischem Interesse an die Gemeinschaft der Baysider heran und produzierte ausgehend von mehr als einem Dutzend Besuchen ihrer Rituale über 100 Fotografien (Schwarzweiß-, Farbfotografien und mit Schrift kombinierte Fotomontagen), die er in verschiedene Formate übersetzte (Fotobuch, Reportage, Essay, Vortrag, Ausstellung und kollektive Reenactments). Anhand dieses medienübergreifenden Korpus’ diskutiert meine Dissertation grundlegende Handlungsstrategien und Werkkonzepte des Fotografen, bindet diese in sein Gesamtwerk sowie den fototheoretischen und historischen Kontext ein und konfrontiert sie mit der transzendenten Vorstellung vom Fotografischen (dem Medium, dem Sujet und der Gebrauchsweise) der Gläubigen.
Während die katholischen AmateurfotografInnen die Kamera als Kommunikationsmittel mit einem göttlichen Jenseits gebrauchten und ihre Polaroids als Vera Ikon verehrten, nutzte Berndt in seiner Doppelrolle als Fotojournalist und Künstler die Fotografie zur Aufzeichnung und kritischen Reflexion des religiösen Phänomens und ihrer ProtagonistInnen. Somit fallen in seiner Serie konträre Botschaften, Gesten und deiktische Absichten ineinander und stellen die fotografische Beweiskraft zur Disposition.
Die fotografische Sichtbarkeit von Berndts Bayside-Serie konstituiert sich aus einem Netz an AkteurInnen, Praktiken und Diskursen, das ich in meiner Dissertation sukzessive heraus- und gegeneinander stelle. In der Untersuchung dieser kulturellen und sozialen Gefüge kristallisiere ich eine Reihe von Bezügen zwischen dem Dispositiv der Sofort-Bild-Fotografie, deren Nutzung durch die Baysider und deren Transformation durch Berndt heraus. Als operatives Instrument dient mir insbesondere der Begriff des Gespenstischen , durch den sich zum einen die spiritistische Praxis der Gläubigen, ihre Evokation jenseitiger Phänomene mittels der Polaroidfotografie und deren rituelle Deutung fassen lässt, wie auch die inkongruenten Wahrnehmungsschritte, die die BetrachterInnen von Berndts Bayside-Fotografien durchlaufen.
In den Miraculous Photographs artikuliert sich ein fotografisches Transzendenzversprechen, das sich für die Gläubigen mit jedem fotografischen Akt erneut erfüllte. Berndt hat das Spektrum ihrer rituellen Praktiken (beim Fotografieren, staunenden Betrachten, Zeigen, Beten und der Prozession) vielfach und facettenreich festgehalten und stellt damit die Sofort-Bild-Fotografie als Evidenz stiftende Quelle ihres Glaubens heraus. Seine Fotografien gewähren der körperlichen Deixis der Gläubigen immensen Entfaltungsraum und vermitteln den Kern ihrer Botschaft („Sieh das! Glaub das!“) unmittelbar an die BetrachterInnen. Doch in der Vehemenz, mit der der Fotograf jenes Transzendenzversprechen durch die Exponierung ihrer Gestik, Mimik und – in den Fotomontagen – auch durch die Textzugaben betont, stellt er ihren religiösen Glauben an die Fotografie zugleich zur kritischen Diskussion. Plurale Bilder, Zeiten, Räume und deiktische Intentionen lenken den Blick auf piktorale Leerstellen, Brüche und Widerhaken und erzeugen ein kontinuierliches Changieren materieller und imaginierter Un/Sicht-barkeiten. So unterwandert Berndt die Behauptung von fotografischer Transzendenz der Baysider nicht direkt, sondern integriert die BetrachterInnen als Konvergenzpunkt des Blickgefüges in die Bilddynamik und fordert sie zur gedanklichen Verhandlung der allgegenwärtigen Frage auf: „Do you Believe in Photographs?“
Das Gespenstische wird hier als ein heterogenes Bedeutungsspektrum verstanden, das von konkret wahrnehmbaren Phänomenen bis hin zu imaginären, diskursiven Figuren einer Gespenster- oder Geisterfotografie reicht.
Das Zitat Berndts ist ein alternativer Titel der Bayside-Serie, den der Fotograf neben einer Reihe von weiteren Titeln in unserem Interview spontan entwarf. In der direkten Ansprache reflektiert sich das fotografische Transzendenzversprechen als Argument der Baysider, aber auch Berndts Bildstrategie, die die BetrachterInnen selbst zum Nachdenken über diese wesentliche Frage anregt, die das fotografische Bild seit seiner Erfindung aufwirft. Vgl. Jerry Berndt, in: Sarah Frost, ebd.: Interview with Jerry Berndt, Paris 2012, S. 256-273, in: Sarah Frost: “DO YOU BELIEVE IN PHOTOGRAPHS? – Fotografisches Zeigen und Erscheinen in Jerry Berndts Serie The Miraculous Photographs of Bayside”, Braunschweig 2022, S. 271.
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Evidenz‐ und Bedeutungs(de)konstruktion in der archivalischen Praxis Zu einer künstlerischen Strategie im Umgang mit angeeigneten Fotografien
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Lena Holbein
- Eignen sich zeitgenössische Künstler*innen Fotografien aus Bildarchiven oder aus den sich im Netz auf Photosharing-Plattformen akkumulierenden Sammlungen an, werden häufig archivarische Praktiken herangezogen. Dies geschieht nicht, ohne deren Mechanismen und Prinzipien kritisch zu hinterfragen. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf der Frage der Evidenz, die von den Künstler*innen teils diskursiv verhandelt wird und sich im Umgang mit Fotografien aus Archiven auf gleich zweifache Weise stellt. Anhand drei ausgewählter Beispiele (Mike Mandel/Larry Sultan: Evidence (1977); Peter Piller: Archiv Peter Piller nimmt Schaden (2007); Joachim Schmid: Other People’s Photographs (2008-11) der Gegenwartskunst geht die Arbeit dem reflexiven Potential einer archivalisch-künstlerischen Praxis nach. Lena Holbein zeigt auf, auf welche Weise Evidenz und Bedeutung von den Künstler*innen sogleich konstruiert als auch dekonstruiert werden. In diesem Wechselspiel wird insbesondere Evidenz als ein Effekt, hervorgehend aus einem komplexen Handlungsgefüge, in dem unterschiedliche Akteur*innen wirken, erfahrbar. Die Untersuchung vereint dabei kunst-, medien- und archivwissenschaftliche Perspektiven mit Fototheorie.
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Under Construction // Über die (Vor-)Bedingungen und Möglichkeiten von subversiven Körpertechniken im Netzfeminismus
(2022)
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Katrin Eva Deja
- Das Dissertationsprojekt versucht, die Bildästhetik des Netzfeminismus einzuordnen und stellt sich hierbei die Frage, wie feministisch-subversive Körpertechniken aussehen können und inwiefern die Machttechniken auf Instagram diese beeinflussen bzw. diese hervorbringen. Es wird dabei ein Fokus auf die Gouvernementalitätstheorie von Foucault und die Geschlechtertheorie von Butler gelegt. Demnach wird ein poststrukturalistischer Ausgangspunkt der Betrachtung von Subjektkonstitutionsprozessen sowie der Subversionsdefinition gewählt. Der Feminismus wird hierzu diskursanalytisch beleuchtet, wobei der Schwerpunkt auf feministisch-subversive Bildtechniken in Form von (fotografischen) Selbstinszenierungsmechanismen in der Kunst und in subkulturellen Bewegungen gelegt wird. Die Social Media Plattform Instagram wird anschließend anhand der digitalen Subjektivierungsmechanismen und der netzwerkimmanenten Wissenssysteme analysiert, die sich auf das Verhalten und die Inszenierung des Users auswirken. Instagram wird diesbezüglich sowohl innerhalb seiner Reglementierungen als auch innerhalb seiner heterotopen Potenziale besprochen. Der Netzfeminismus bildet hierzu die Ausweisung der Heterotopie, die anhand von subversiven Körpertechniken in Selfies beleuchtet und kunsthistorisch als auch marktfeministisch in Form von Fallbeispielen besprochen und analysiert wird.
Der Netzfeminismus liegt zwischen der Affirmation und der Subversion und ist von Widersprüchen geprägt. Dennoch zeigt die Arbeit zentrale feministische Errungenschaften auf, bei denen es um eine inklusive Sichtbarkeitspolitik geht, die weitergehender zu interpretieren ist als ihre spezifischen Bildästhetiken.
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Noch eine Hollywood-Geschichte: Von verschwundenen und (wieder)gefundenen Fragmenten der Extras
(2021)
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Alexander Karpisek
- Die Vorstellung von den „extras“ der Filmindustrie scheint allgemein mit dem Problem einer Festlegung einherzugehen: Von welchen Extras ist jeweils genau die Rede? Wer, was, wann und wo sind Extras überhaupt? Gibt es den oder die Extra auch im Singular?
Extras sind - unter anderem - die Massen im scheinbar grenzenlos produzierten und projizierten Spielfilmbild Hollywoods. Als Schauspieler_innen gelten sie dort nicht. Aber sind sie die Arbeiter_innen in einer/dieser Bildfabrik? Immerhin ist in Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig von „work“ zu lesen. Gleichzeitig nehmen aber Bilder und Vorstellungen, in denen sich Extras als Arbeiter_innen vermitteln, nirgendwo konkrete Form an. In meiner Dissertation werden über die Zeit und Orte verstreute Darstellungen, Vorstellungen, Auslassungen und Bilder von und über Film-Extras besprochen. Sie bilden die Fragmente eines potentiellen Extras-Image, mit dem ich exemplarisch aufzeige, warum Extras nicht nur als Schauspieler_innen, sondern vor allem auch als Arbeiter_innen undenkbar bleiben müssen.
Im angebotenen Perspektivwechsel aktueller Mediengeschichtsschreibung findet sich der Hinweis, dass auch die umwegige Gewerkschaftsgeschichte der Hollywood-Extras die problematische Wahrnehmung von Extras begleitet und begünstigt hat. Zur Aktualität auch lokalisierbarer Hollywood-Extras finden sich bisher nur wenige akademische Auseinandersetzungen. Um verdeutlichen zu können, dass es Extras, im Leben wie im Spielfilmbild, selbstverständlich nicht nur im Plural gibt, werden in dieser Arbeit insbesondere auch aktuellere Einzelfälle und damit eine besondere, nämlich persönliche Verwicklung mit ungewöhnlichen Spielfilmbild-Fragmenten besprochen. Dass die Suche nach den unterschiedlichen Fragmenten oft nur eine Konfrontation mit schemenhaften Körperteilen heraufbeschwört, bedeutet dann insbesondere im Einzelfall ein Problem für eine weitere Verwertbarkeit und das Verhältnis zum eigenen, potentiellen Arbeits-Image.
Zur Diskussion steht daher auch eine geisterhafte An- und Abwesenheit, verursacht durch das inszenierte Verschwinden mit der Sichtbarkeit, wobei gezeigt wird, dass auch die ausgewählten Filmfragmente einer traditionellen Cinephilia und die Ideen einer cinephil-akademischen Retrospektive etwas mit diesem Verschwinden zu tun haben müssten.
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Zur Kreativität im Design. Die Wirkung von Sozialisation auf die Entfaltung schöpferischer Potenziale.
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Berit Andronis
- Ziel dieser Arbeit ist es herauszufinden, was DesignerInnen bisher getan haben oder was sie tun, um sich zu einer schöpferischen Persönlichkeit mit unterschiedlichsten Facetten bzw. Eigenschaften zu entwickeln, und welche Rolle der Sozialisation zukommt.
Um diesem Anliegen auf den Grund zu gehen, gliedert sich die Arbeit in zwei Abschnitte: In einen theoretischen Teil und in eine empirische Untersuchung. Aufgrund der ersichtlichen Komplexität und Mehrdimensionalität des Themas ist es erforderlich, den Begriff der Kreativität zu betrachten. Um dieses Konstrukt mitsamt seinen Ausprägungen zu sondieren, erfolgen zuerst die Zusammenführung einzelner Zitate, dann die Entwicklung einer Definition, die Eruierung der Forschungslage und letztendlich die Generierung einer Matrix, die einen Überblick über die Forschungsaktivitäten seit Beginn der Kreativitätsforschung ermöglicht und bei der Verortung der eigenen Aktivitäten half.
Der nächste Themenkomplex fokussiert auf Forscherpersönlichkeiten und ihre Erkenntnisse. Wie im Verlauf der Arbeit zu sehen ist, wird überwiegend ein persönlichkeitsorientierter Ansatz mit dem Fokus auf Persönlichkeitseigenschaften verfolgt. Die beschriebenen Forschungsgegenstände speisen sich jedoch aus der Perspektive der beobachtenden Wissenschaftler mit ihren Methoden, im Rahmen ihrer Möglichkeiten und nicht aus den praktischen Erfahrungen und dem gelebten schöpferischen Wirken. In dieser Arbeit soll nicht im Vordergrund stehen, was Kreative als Persönlichkeit für Dispositionen mitbringen. Es soll herausgefunden werden, was sie bisher getan haben oder was sie tun, um ihre Potenziale in diesem Bereich zu entwickeln.
Die psychologischen Ansätze werden um neurowissenschaftliche Positionen erweitert, da bei den bisherigen Ausführungen diese Erkenntnisse kaum berücksichtigt wurden. Die Zusammenführung der unterschiedlichen Aspekte ermöglicht ein erweitertes Verständnis für die Thematik und somit kann diese in einen entsprechenden Ansatz münden.
Die Dokumentarische Methode ist eine empirische Herangehensweise, die kreatives Denken und Handeln adäquat abbildet, wiedergibt und interpretierbar macht. Dem folgend wird ein handlungsorientierter Ansatz entwickelt, der sinnlich-praktisches Tun in der Entwicklung berücksichtigt. Dieser bezieht die Sichtweisen und Erfahrungen eines Gestalters ein und soll die bestehenden Erkenntnisse aus den genannten Bereichen keinesfalls revidieren, er ist vielmehr als Ergänzung, als Fusion zu betrachten. Mit den Interviews gelingt es praktisch herauszuarbeiten, was DesignerInnen in ihrer Kindheit, Jugend und Studium getan haben und wie sich die beschriebenen Eigenschaften und Denkweisen in der Entwicklung herausbildeten.
Folgende Erkenntnisse lassen sich aus dieser explorativen Studie ableiten:
o DesignerInnen ist es ein Bedürfnis, ihre Sinne zu trainieren.
o Das tun sie, indem sie eine Vielzahl unterschiedlicher Tätigkeiten ausüben.
o Es gibt mindestens drei Tätigkeiten, die sie besonders fesseln.
o Sie folgen einem intrinsischen Bedürfnis und sind motiviert.
o Sie brauchen keinen speziellen Unterricht oder Mentor, sie arbeiten als Kinder und Jugendliche autodidaktisch.
o Sie verfügen über eine ausgeprägte Wahrnehmung, die sich auch in der Fähigkeit zur Imagination zeigt und die von ihnen aktiv für die Arbeit genutzt wird.
Sicherlich ist es interessant zu erfahren, welche Dispositionen ein Kreativer mitbringen muss, um kreativ agieren zu können, aber woher diese Eigenschaften kommen, blieb ungeklärt. Mit der Darstellung der psychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnisse gelingt es insgesamt, die Sozialisationssphären von DesignerInnen zu untersuchen und auf diese Weise mit einer soziologischen Dimension zu verknüpfen. Mit den gewonnenen Ergebnissen lassen sich unterschiedliche Möglichkeiten ableiten, denn es wäre generell denkbar, modifizierte Komponenten in didaktische Programme einfließen zu lassen und anders gelagerte kreativitätsfördernde Konzepte zu entwickeln. Diese sollten ein vielschichtiges Training der Sinne berücksichtigen, die Integration der Selbstbestimmung verfolgen und die Fähigkeit, in einer Tätigkeit aufzugehen, fördern.
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"So all these different things are scuplture." Zu Werk und Wort von Terry Fox in den 1960er und 1970er Jahren. Narrative Erweiterungen des Formats >Werkverzeichnis<
(2020)
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Lisa Steib
- Das Œuvre von Terry Fox (1943-2008) entzieht sich gängigen Kategorien der Kunstgeschichte. Seit Ende der 1960er Jahre bevorzugte Terry Fox eine künstlerische Arbeits- und Lebensweise, die ihn sowohl im Alltag als auch in musealen Räumen kontinuierlich mit den für ihn wichtigsten Materialien experimentieren ließ: Klang und Sprache. Den Begriffen der Performance und Body Art, die sich in den 1970er Jahren etablierten, standen Terry Fox und auch einige seiner Künstlerkollegen kritisch gegenüber. Die Künstler der kalifornischen Bay Area um San Francisco suchten nach unkonventionellen Ausstellungsmöglichkeiten (u.a. im Museum of Conceptual Art/MOCA, San Francisco) und nutzten transatlantische Kommunikationswege (z.B. Kunstmagazine wie Avalanche). Terry Fox hinterfragte und erweiterte die Bedeutung von Bildhauerei und bezeichnete seine Aktionen schließlich als Situationen. Diese Entwicklungen werden über die Stationen und Spuren seines nomadischen Lebensweges zwischen Europa und den Vereinigten Staaten zurückverfolgt.
Die Anfänge seines künstlerischen Weges bis Ende der 1970er Jahre sind noch weitestgehend unerforscht. Diese Werkphase wird in Relation zum Gesamtwerk in den Blick genommen. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, was in seinem vielgestaltigen, in Teilen ephemeren Nachlass als Einzelwerk begriffen werden kann. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen eines Werkverzeichnisses ist somit unumgänglich. Da Terry Fox vor allem seine Aktionen selbst detailliert beschrieben hat, wird in einer dialogischen Struktur ein Schwerpunkt auf seine Äußerungen und Texte gelegt. Die Künstlertexte sowie Geschichten und Anekdoten werden auf ihren Status im Gesamtwerk, und in Bezug auf den methodischen Ansatz einer narrativen Erweiterung des Formats ›Werkverzeichnis‹ untersucht. Es ist ein Künstler zu entdecken, der an den Rändern des Kunstsystems gearbeitet hat, und dabei ein labyrinthisches Werk von großer Eigenständigkeit und nach wie vor bemerkenswerter Relevanz entwickeln konnte.