38 search hits
-
Geschmacksstrategien. Kochen als künstlerische Praxis bei Rirkrit Tiravanija.
(2022)
-
Mirja Straub
- Gegenstand der Dissertation Geschmacksstrategien. Kochen als künstlerische Praxis bei Rirkrit Tiravanija ist die Untersuchung von Rirkrit Tiravanijas (*1961) Kunst – vorrangig seiner Koch-Aktionen, die er seit Ende der 1980er Jahre in Kunstvereinen und Galerien durchführt. Tiravanijas Kunst ist im wahrsten Sinne des Wortes schmeckbar. In dieser Arbeit wird deshalb der Geschmack als Beurteilungsinstrument von Kunst von verschiedenen Seiten beleuchtet: unter anderem im physiologischen, soziologischen und Philosophie-ästhetischen Sinne – stets in Bezugnahme auf kunstwissenschaftliche Diskurse, Kunstrezeption und Kunsttheorie. Sieben zentrale Fragen bilden dabei den roten Faden: Warum kocht er? Für wen kocht er? Wie und wo kocht er? Wer kocht? Was bleibt? Was kocht er? Was kocht er wo? Die Fragen eröffnen Felder, die von Geschmacksurteilen und Kunsturteilen, von der Vergänglichkeit von Kunst und einer institutionskritischen Haltung erzählen. Darüber hinaus werden auch kulturwissenschaftliche und postkoloniale Diskurse verhandelt: es geht um den Umgang mit kultureller und ‚kulinarischer‘ Identität, mit Authentizitätsvorstellungen und Geschmackskulturen, mit sozialer und kultureller Differenz. Die Diskurse laden dazu ein, das kochkünstlerische Werk Tiravanijas mit anderen Augen zu sehen. So ist ein ganz neues Bild dieses Künstlers und seiner Arbeiten entstanden, das auch bisherige Rezeptionen seines Schaffens kritisch beleuchtet und neu bewertet.
-
Future Centered Design : Entwicklung einer zukunftsorientierten Entwurfsstrategie
-
Matthias Lossau
- Die vorliegende Arbeit untersucht, wie sich die Stärken des Design Thinking-Prozesses mit der Szenariotechnik operabel verschränken lässt. Erklärtes Ziel ist dabei, zu einer ganzheitlichen Innovationsgenerierung beizutragen, um die Arbeit multidisziplinärer Innovationsteams in frühen Entwicklungsphasen zu unterstützen.
Durch seine Gegenwartsorientierung und Fokussierung auf Prozessresultate ist Design Thinking als Innovationsmethode der steigenden Komplexität und den wachsenden Ansprüchen bei der Entwicklung neuer Produkte und Services in der Strategie- und Langfristfähigkeit nur begrenzt gewachsen. Demgegenüber hat sich die Szenariotechnik zur Strategieentwicklung mit langfristigen Zukunftsbezügen bewährt. Durch eine Verschränkung beider Verfahrensweisen lässt sich das Design Thinking um inspirierende, systemisch herstellbare Zukunftsbilder erweitern, welche sich ihrerseits durch emphatische Prozessweisen und Kreativitätstechniken des Designs weiter verdichten und alltagsnah ausgestalten lassen. Auf diese Weise werden Inventionspotentiale erkennbar. Gleichzeitig lassen sich Überlegungen hinsichtlich sozialer Akzeptanz in Planungsprozesse einbeziehen, was zur Minimierung von Innovationsrisiken führen kann und zur Ressourcenschonung beiträgt.
Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse aus einer Sekundäranalyse sowie anhand der Ableitungen aus Experteninterviews, Handlungsforschung und teilnehmenden Beobachtungen wird im weiteren Verlauf der Arbeit ein beispielhafter Prozess entwickelt, der die Lücke zwischen dem Abstraktionsgrad (Flughöhe) bisheriger Szenarios und dem überwiegend gegenwartsbezogenen Design-Prozess schließt. Unter Einbezug systemanalytischer und strategischer Schritte sowie mobilisierend imaginativen Ideenentwicklungsstrukturen werden sie zu einem Kollaborationsformat vereint, das mittels konsistent entwickelter Visionen hilft, reflexiv Innovationschancen zu explizieren.
Das vorgestellte „Future Centered Design“-Modell umfasst die drei Prozessphasen „Frame“, „Scope“ und „Connect“. In der ersten Phase erfolgt nach der genauen Aufgabendefinition eine qualitative und quantitative IST-Analyse, bei der überwiegend Methoden der Szenariotechnik eingesetzt werden. Die zweite Phase fokussiert auf die zukunftsraumbasierte Ideenentwicklung und nutzt dabei mehrheitlich dem Design Thinking entlehnte Vorgehensweisen. Im Laufe der abschließenden Connect-Phase werden mithilfe von Techniken sowohl aus Design Thinking und Strategieentwicklung als auch aus Szenariotechnik resiliente Konzepte und reflektierte Visionsbeschreibungen entwickelt.
-
Formen der visuellen Begegnung zwischen Japan und dem Westen : vom klassischen Japonismus zur zeitgenössischen Typographie
(2013)
-
Mariko Takagi
- Formen der visuellen Begegnung zwischen Japan und dem Westen:
Vom klassischen Japonismus zur zeitgenössischen Typographie
Die japanische Typographie greift auf ein einzigartiges hybrides Schriftsystem zurück. Anhand von Quellen und aussagekräftigen Beispielen wird aufgezeigt, dass es sich dabei keineswegs um jenes ›defizitäres Bildschriftsystem‹ handelt, als das es so häufig beschrieben wurde. Vielmehr begann mit der Einführung der chinesischen Zeichen im 4. Jahrhundert ein umfassender Prozess des ›refine‹, wobei in Japan verschiedene Einflüsse verarbeitet wurden. Begegnungen mit westeuropäischer Kunst und Kultur, wie sie seit dem 19. Jahrhundert stattfanden, ermöglichten es japanischen Künstlern und Gestaltern,
mit visuellen Klischees zu spielen und die Erwartungen, die von Europa aus im Zuge der Japonismus-Mode an sie herangetragen wurden, zu affimieren oder zu subvertieren. Die japanische Schrift und Typographie wird im Folgenden als synthetisierendes Modell eines reziproken Wissenstransfers gedeutet, das die festgefügten Vorstellungen des ›Eigenen‹ und ›Fremden‹ ins Wanken bringt. Aufgrund dieser spezifischen Tradition des 'refine' vermag die zeitgenössische japanische Typographie Hybridität als ein Modell kultureller Vielfalt anschaulich zu machen.
-
Evidenz‐ und Bedeutungs(de)konstruktion in der archivalischen Praxis Zu einer künstlerischen Strategie im Umgang mit angeeigneten Fotografien
-
Lena Holbein
- Eignen sich zeitgenössische Künstler*innen Fotografien aus Bildarchiven oder aus den sich im Netz auf Photosharing-Plattformen akkumulierenden Sammlungen an, werden häufig archivarische Praktiken herangezogen. Dies geschieht nicht, ohne deren Mechanismen und Prinzipien kritisch zu hinterfragen. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf der Frage der Evidenz, die von den Künstler*innen teils diskursiv verhandelt wird und sich im Umgang mit Fotografien aus Archiven auf gleich zweifache Weise stellt. Anhand drei ausgewählter Beispiele (Mike Mandel/Larry Sultan: Evidence (1977); Peter Piller: Archiv Peter Piller nimmt Schaden (2007); Joachim Schmid: Other People’s Photographs (2008-11) der Gegenwartskunst geht die Arbeit dem reflexiven Potential einer archivalisch-künstlerischen Praxis nach. Lena Holbein zeigt auf, auf welche Weise Evidenz und Bedeutung von den Künstler*innen sogleich konstruiert als auch dekonstruiert werden. In diesem Wechselspiel wird insbesondere Evidenz als ein Effekt, hervorgehend aus einem komplexen Handlungsgefüge, in dem unterschiedliche Akteur*innen wirken, erfahrbar. Die Untersuchung vereint dabei kunst-, medien- und archivwissenschaftliche Perspektiven mit Fototheorie.
-
Entwicklung flexibel erstellbarer, universell verständlicher visueller Arbeitsanweisungen aus 3-D-Konstruktionsdaten für Montagelinien
(2005)
-
Katja Lemke
- Von der Industrie benötigt werden flexibel erstellbare, universell verständliche visuelle Arbeitsanweisungen für die Mitarbeiter an der Montagelinie. Wie diese Anweisungen auszusehen haben, und wie sie automatisiert in Form eines Programms auf Grundlage der 3-D-Konstruktionsdatenbanken eines Konzerns erstellt werden kšnnen, ist Thema der vorliegenden Arbeit. Der Lösungsansatz ergibt sich aus der Vernetzung von Erkenntnissen aus Linguistik, Kognitionspsychologie und Designwissenschaft. Das Ergebnis sind visuelle Darstellungen, welche in Anlehnung an in der Universalgrammatik verankerte universelle Sprachstrukturen und aus Propositionen aufgebaut sind, und zwar in einer Art und Weise, die der menschlichen Informationsverarbeitung angepasst ist. Formal den Prinzipien der allgemeinen menschlichen Wahrnehmung folgend, weisen die visuellen Darstellungen inhaltlich die Struktur der Universalgrammatik auf und entsprechen somit in ihrer Ganzheit den universellen kognitiven Strukturen des Menschen. Eine die Sprachstrukturen der Universalgrammatik (UG) visualisierende Art der Darstellung gewährleistet nicht nur ein sprachenunabhängiges Verständnis der Inhalte, sondern bietet aufgrund des streng formalen Charakters der UG auch die Grundlage für eine spätere flexible und automatisierte Generierung der Arbeitsanweisungen
-
Digitalkapitalismus im Kontext: Ursprünge, Implikationen und Gefahren für Gesellschaft, Privatsphäre und Demokratie
(2024)
-
Felix Sühlmann-Faul
- Der Einfluss digitaler Technologien auf Gesellschaft und Wirtschaft hat in den letzten Jahren rasant zugenommen. Insbesondere der Digitalkapitalismus, der von Unternehmen wie Apple, Alphabet (Google) und Meta (Facebook) vorangetrieben wird, hat zu einer Umwälzung der Wirtschafts- und Arbeitsweise geführt. Die Nutzung dieser Technologien geht jedoch mit einer Reihe von Herausforderungen einher, insbesondere in Bezug auf Datenschutz und Privatsphäre. Denn das zentrale Produktionsmittel des Digitalkapitalismus sind die persönlichen Daten der Nutzer:innen. Durch die Sammlungs-, Verarbeitungs- und Nutzungspraktiken der Technologiekonzerne entsteht eine täglich wachsende Machtasymmetrie zulasten der Nutzer:innen.
In der vorliegenden Dissertation werden diese Themen untersucht und analysiert, um ein besseres Verständnis der negativen Auswirkungen des Digitalkapitalismus auf Individuen, Gesellschaft, Politik und Demokratie zu erlangen. In der empirischen Untersuchung wird der Frage nachgegangen, wie die Machtasymmetrie zwischen den Nutzer:innen und den Technologiekonzernen teilweise reduziert werden kann. Dafür entwickelt der Verfasser ein Tool, das für datenschutzsensible Nutzer:innen eine essenzielle Hilfestellung ist. Das Tool „Priva Score“ ermöglicht schnell, einfach und transparent eine informierte Entscheidung bei der Auswahl von Diensten und Apps, die ein hohes Datenschutzniveau bieten und dadurch die Privatsphäre besonders schützen. Die Funktionsweise dieses Tools wird anhand von Kurznachrichtendiensten demonstriert.
-
Die Stadt und ihr Imaginäres : Raumbilder des Städtischen
(2012)
-
Kai Vöckler
- Die vorliegende Analyse zeitgenössischer urbaner Räume untersucht an ausgewählten Raumbildern des Städtischen, wie in diesen imaginäre Kräfte wirksam werden. Der Begriff des Raumbilds hat unterschiedliche Bedeutungen. Zum einen bezeichnet er die Raummetaphern, also Sprachbilder des Räumlichen. Hinzu kommt die mediale Vermittlung in nichtverbalen Zeichen- und Symbolsystemen, die wiederum Bilder von Räumen entwerfen, die in besonderer Weise auf die Raumvorstellungen und die realen Räume zurückwirken. Zum anderen bezeichnet der Begriff des Raumbilds die symbolische Anordnung materialisierter Umwelten. Im ersten Abschnitt wird ausgehend von Henri Lefèbvres Raum- und Stadttheorie am Beispiel der „Welt als Stadt” das Sprachbild, die Denkfigur und die Bildformel untersucht. Der Begriff der Stadt wird in unterschiedlichen historischen Kontexten analysiert. Im zweiten Abschnitt steht die symbolische Bedeutung von Raumbildern, ihr projektiver Charakter hinsichtlich der Perspektiven städtischer Entwicklung als auch ihre psychische Wirkmächtigkeit und ihr Einfluss auf alltägliche urbane Erfahrungen im Fokus der Analyse. Die Themenparks der neugegründeten chinesischen Stadt Shenzhen, die Raumentwicklung im Kern Europas mit ihrer nahezu gesamtterritorialen Urbanisierung sind ebenso Gegenstand wie die Neukonfiguration des Städtischen in globalen Netzwerken. Um das in den zeitgenössischen Formen der Urbanisierung wirksam werdende Imaginäre als produktive, verändernde Kraft erfassen zu können, wird die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Städtischen, sei es in Architektur, Literatur, Film oder bildender Kunst, einbezogen. Ausgehend von Cornelius Castoriadis’ Theorie des Imaginären als einer schöpferischen Kraft, die neue gesellschaftliche Sinnhorizonte eröffnet, zeigt die Untersuchung des urbanen Imaginären neue Perspektiven zum Verständnis der gegenwärtigen Urbanisierung auf.
-
Die Aktualisierung der Alchemie im Werk von Joseph Beuys : der Beuys-Block als Manifestation eines okkultistisch geprägten Weltbildes
(2007)
-
Stephan Malaka
- Die vorliegende Dissertation widmet sich ausfuehrlich dem in der Sekundaerliteratur bis dato nur spaerlich behandelten Einfluss alchemistischen Gedankengutes auf das Schaffen von Joseph Beuys. Im Zentrum der Eroerterungen steht dabei der „Block Beuys“ im Darmstaedter Landesmuseum, die wohl umfangreichste der vom Kuenstler realisierten Rauminstallationen. Im Anschluss an die einfuehrende Beschreibung wird der Nachweis gefuehrt, dass die Installation formale Analogien zum christlichen Sakralraum, den Kunst- und Wunderkammern des 16. bis 18. Jahrhunderts sowie der Formensprache der kuenstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts aufweist. All diesen kulturellen Entaeusserungen ist ihre Affinitaet zum Okkulten gemein. Dass sowohl die Beuyssche Auffassung vom Christentum als auch sein Wissenschafts- und sein Kunstbegriff zutiefst von der Anthroposophie Rudolf Steiners gepraegt ist, seine Kunst mithin als Manifestation eines okkultistisch gepraegten Weltbildes angesprochen werden muss, ist ein erster wesentlicher Ertrag der Arbeit. Die Anthroposophie als eine okkultistische Lehre ist erwachsen aus der Steinerschen Rezeption der Schriften Goethes. Insbesondere dessen Betrachtungen zur Metamorphose aber aktualisieren alchemistisches Gedankengut. Die Anthroposophie Steiners sowie die Metamorphosenlehre Goethes sind jene Mittlerinstanzen, durch die alchemistisches Gedankengut an Joseph Beuys herangetragen wird. Die alchemistische Transmutation, die Metamorphose Goethes und die „plastische Theorie“ von Joseph Beuys sind einander analoge Vorstellungen. Sie fassen das Leben auf als einen fortwaehrenden Prozess des dynamischen Ausgleichs zwischen polaren Prinzipien zum Zwecke seiner Hoeherentwicklung. Der Mensch steigt dabei auf zum Vollender der ins Unbestimmte metamorphisierenden Natur. Als Erloeser der an die Materie verfallenen Natur wird der Mensch zum Selbsterloeser, substituiert sowohl der Alchemist als auch der Kuenstler Beuysschen Gepraeges die Erloesungstat Christi. Vor dem Hintergrund einer ausfuehrlichen Darlegung der geschichtlichen Entwicklung der Alchemie zeigt die Dissertation an ausgewaehlten Beispielen, wie wesentliche Theoreme der historischen Alchemie im Beuys-Block ihren Niederschlag finden und mit den formalen Mitteln der Kunst der Avantgarden aktualisiert werden. Die Ausfuehrungen schliessen mit dem Nachweis, dass nicht allein einzelnen Arbeiten aus der Darmstaedter Installation eine grundlegende Verwobenheit mit Grundannahmen der Alchemie eignet, sondern der Beuys-Block insgesamt als Manifestation eines okkultistischen Weltbildes angesehen werden muss, das massgeblich alchemistisch gepraegt ist.
-
Der Landschaftsmaler Edmund Steppes (1873-1968) und seine Vision einer "Deutschen Malerei"
(1999)
-
Andreas Zoller
- In einer biographischen Studie werden die Lebensstationen, der kunstideologische Hintergrund und die Rezeption eines Landschaftsmalers analysiert, der mehrfach im Brennpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand. Steppes erfuhr seine künstlerische Genese um 1900 im Münchner Freundeskreis von Hans Thoma. In einer Einzelausstellung in Heidelberg 1906 wurde Steppes von dem Kunsthistoriker Henry Thode als Hoffnungsträger des deutschen Idealismus entdeckt und gefördert. Mit der Schrift „Die deutsche Malerei“ griff Edmund Steppes 1907 auch publizistisch in die Auseinandersetzung zwischen Neuidealisten und Impressionisten ein. Mit der Betonung der seelischen Bestimmtheit der Kunst steht er ideologisch dem zeitgleichen deutschen Expressionismus nahe.Bereits 1918 kam Steppes mit führenden Nationalsozialisten wie Dietrich Eckart und Alfred Rosenberg in Berührung, trat aber erst 1932 in ihre Partei ein. In der Auseinandersetzung zwischen deutschem Idealismus und einer sich herausbildenden rassistischen Kunstideologie und Politik zeigen sich Übereinstimmungen und Gegensätze. Obwohl Steppes sich weder künstlerisch noch ideologisch den Zielen der Partei unterwarf, fanden seine Arbeiten in der jährlichen Schauausstellung im Haus der Deutschen Kunst, München, regelmäßig Aufnahme. Nach 1945 entstand ein atmosphärisches Spätwerk, das in seiner Transzendenz den religiös überhöhten Kunstbegriff im Nachkriegsdeutschland widerspiegelt.
-
Der Betrachter als Akteur : Partizipationsmodelle in der frühen Kunst des 20. Jahrhunderts
(2007)
-
Veit Görner
- Neben der rein schauenden Betrachtung gibt es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart immer auch partizipative Werkkonzeptionen, die dem Rezipienten eine physisch aktive Rolle bei der Begegnung mit den Kunstwerken zuweisen. Anfassen, Verändern, Ergänzen, Auslösen, Mitmachen oder Interagieren sind dabei bekannte Handlungsmuster eines emanzipativen Kunstverständnisses. Die vorliegende Arbeit untersucht die historischen Avantgarden, den vorrangig italienischen Futurismus und seine russischen Varianten, die wichtigen europäischen Dada-Bewegungen, den nachfolgenden Surrealismus und übergreifend das Werk von Marcel Duchamp auf Theorien, Ansätze und Werkbeispiele, die den Betrachter aus seiner passiven, kontemplativen Rolle in eine aktive Rolle der Kunstrezeption lenken wollen. In einer allgemeinen Einleitung wird die Entwicklung der Rezeptionstheorie, mit kurzen Verweisen auf theoretische Erörterungen aus der Renaissance (Christan Garve), dem 18. Jahrhundert (Diderot, Ruskin), dem 19. Jahrhundert (Riegl), bis zu Gadamer und vor allem Kemp, im 20. Jahrhundert vorgestellt, basierend auf den sich wandelnden philosophischen Paradigmen der Kunstbegriffe zwischen Autonomisierung und Idealisierung in dieser Zeitspanne. Die Entwicklung der Relativitätstheorie durch Einstein und die Entwicklung der Psychoanalyse durch Freud, dazu die Etablierung der Sozial- und Gesellschafts-wissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts, waren geistesgeschichtlich Wegbereiter, ebenso wie der zeitgeschichtliche Kontext mit Koloniegründungen, den Neonationalismen, dem ersten Weltkrieg und den Revolutionen, waren für die künstlerische Bewusstseinsbildung maßgebliche Begleitumstände. Das Projekt der historischen Avantgarden wird allgemein durch die Positionen von Bürger, Lindner und Enzensberger paraphrasiert als Versuch der Rückführung der Kunst in die Lebenspraxis. Der italienische Futurismus unter Marinetti, als erste der historischen Avantgarden, formierte sich bewusst als anti-passatistische Kulturbewegung in Italien. Alles Alte, jedwede traditionsgegründete Kunstform war den Futuristen verhasst. In unterschiedlichen Manifesten propagierten sie Thesen für einen Neue Kunst. Die Beteiligung des Publikums provozierten sie bei skandalträchtigen Abendveranstaltungen (Seratas) in den großen Theatern Norditaliens. Ohne je ein physisches Kunstwerk geschaffen zu haben, das partizipatorisch genannt werden kann, haben sie mit den ergebnisoffenen, teilweise improvisierten Seratas, das Publikum zu unkontrollierbaren Beteiligungen provoziert, die immer gestaltend in den Ablauf der Veranstaltung eingegriffen haben. Der Dada Bewegung, die in Zürich ihren Ausgangspunkt nahm, ist die Dekonstruktion des Wertebegriffs in der Kunst zu verdanken. Geprägt durch den 1. Weltkrieg, war es vor allem der Zweifel an allen normierenden Vorgaben, die das künstlerische Denken der Exil-Schweizer verband. Das Fragmentarische, Billige, Einfache, Zufällige, Unschöne, Nicht-sinnhafte, Widersprüchliche, Provokative, Unlogische und auch Experimentelle prägte das Züricher Kunstschaffen, was um den Aspekt der Agitation und Politisierung von den Berliner Dadaisten ergänzt wurde. Ohne die Adressaten, das teilnehmende Publikum, waren auch deren Aktionen wirkungslos. Aufforderungen ergingen an Ausstellungsbesucher in Berlin, Exponate umzuhängen oder in Köln, mit einem Beil auf einen Holzklotz einzuschlagen. Wenn der Zufall als Produktionsinstanz angenommen werden konnte, musste nicht mehr ausschließlich der Künstler Werkproduzent sein. Der Pariser Surrealismus, von versprengten Dadaisten mit initiiert, machte den Einzelnen, Autor und Rezipient in seiner einmaligen Individualität, Phantasie oder seinem Unbewussten, zur Hauptfigur und erweitere die künstlerischen Produktionsformen z.B. durch das kollektive Zeichnen, (Cadavre Exquis), einer frühen form der multiplen Autorenschaft. Als erste weltumspannende Kunstbewegung verbreitete der Surrealismus seine Vorstellungen global und exportierte anlässlich großer Gruppenausstellungen, bei denen das Publikum immer als mitwirkend Tätiges einbezogen wurde, das gedankliche Rüstzeug zu partizipativen Kunstformen. Als Begleiter aller drei Bewegungen, mit seiner eigenen künstlerischen Sozialisation bei den Pariser Kubisten, wird Duchamp zum Theoretiker und Erfinder auf Partizipation angelegter Prototypen (Avec Brut Secret, Fahrrad-Rad, u.a.) aber mehr als andere Künstler Vorbild für nachfolgende Generationen die Erweiterung des Kunstbegriffs voran zu treiben. Auch wenn die Werke der historischen Avantgarden, die man als partizipativ bezeichnen kann zahlenmäßig gering sind, so macht die vorgelegte Untersuchung deutlich, dass sie die Wegbereiter für alle folgenden Modelle zur Betrachterpartizipation waren.